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    Beiträge jüdischer Familien zur wirtschaftlichen Entwicklung Esslingens.

    Die jüdischen Wankheimer

    Auf der Straße, die von Tübingen aus in südliche Richtung über Dusslingen, Gomaringen nach Hechingen führt, gelangt man bald nach Wankheim. – es liegt von der Universitätsstadt noch keine zehn Kilometer entfernt. Einige wenige Häuser in der Heerstraße erinnern an die einstigen Wohnstätten jüdischer Familien. Wankheim war zusammen mit anderen umliegenden Dörfern im Besitz reichsritterschaftlicher Familien. Das heißt: Diese waren nur in begrenztem Maße an die herzoglich württembergischen Gesetze gebunden, konnten also weitgehend autonom ihren Besitz verwalten und ihre Untertanen beherrschen. Zu dieser Freiheit gehörte auch, dass sie Juden aufnehmen konnten, was ja in Alt-Württemberg durch die „Regimentsordnung“ von 1498 verboten war und etwas über 300 Jahre auch Gültigkeit besaß. Für Tübingen wurde dieses Siedlungsverbot allerdings bereits 1477 festgelegt: In direktem Zusam-menhang mit der Gründung seiner Universität dort verfügte Graf Eberhard im Bart zugleich die Ausweisung sämtlicher Juden aus Tübingen. So ließen sich in Wankheim wohl einst jene Juden nieder, die in losem Kontakt mit der Stadt bleiben wollten, eher freilich sollten, gar mussten, denn schließlich bedurfte man ja doch ihrer Dienste, zumal ihrer kirchlich ihnen verordneten Finanzierungshilfen, nicht zuletzt in Kreisen der Patrizier und Kaufleute. Überall, wo Juden Aufenthalts-, Arbeits- und Wohnmöglichkeit genehmigt wurde, hatten sie – gewissermaßen zum Dank huldvoller Behandlung - hierfür Extra-Abgaben, sogenannte Schutzgelder bzw. Judensteuern zu entrichten. Erst in Folge des württembergischen Emanzipationsgesetzes von 1828 konnten die jüdischen Familien von Wankheim in derselben Straße, in der sie bislang lebten, in der Heerstraße, einige Häuser erwerben. Die Besonderheit jüdischer Einwohnerschaft in Dörfern war den herzoglich-württembergischen Dörflern in der Umgebung derart markant, dass sie „Judendörfer“ genannt wurden. Die Juden lebten zunächst weitgehend vom Trödelhandel, konnten aber auch Nahrungsmittel zur Eigenversorgung an-bauen, sie waren sogenannte „Landjuden“. Vor allem freilich waren sie „Viehjuden“. Als „Trödler“ führten sie keine eigenen Geschäfte – also nicht jene Mischung aus Antiquitätengeschäften, Secondhand-Shops und 1-EURO-Läden - oder tauchten auf Flohmärkten auf – derartiges gab es noch nicht, vielmehr waren sie mit ihren Bauchläden unterwegs: Von ihrem festen, meist erbärmlichen Wohnsitz aus suchten sie die Einwohnerschaft der umliegenden Dörfer, Weiler und Gehöfte auf – wobei ihr Kundenkreis zu einer festen Klientel wurde, das, sorgsam unter anderen Trödlern verteilt, von deren Kundschaft räumlich getrennt zu sein hatte. Einige wenige junge jüdische Männer in den Judendörfern unterzogen sich einer geistlichen Erzie-hung, um später als Wanderprediger tätig zu sein: Da zogen sie dann von Judendorf zu Judendorf, um die jüdischen Jungen in Torah und Talmud zu unterrichten, so dass sie später, als erwachsene Juden fromm, weniger orthodox, rechtgläubig, vielmehr orthopraktisch leben würden – also unter rechter Be-achtung der mizwot, der Einhaltung der Gebote und Verbote, zu der die Bibel sie verbindlich ver-pflichtete. Dieser Unterricht fand meistens im „cheder“ statt, einer größeren Wohnstube einer jüdischen Familie. Die Jungen hatten hier die zentralen Gebete und Texte des Tenach, wie die Juden das Alte Testament nennen, zu lesen, konnten sie oftmals bald auswendig. Was sie sonst an Bildung brauchten, einfachste Rechenregeln, das Lesen wurde ihnen nebenbei auch beigebracht. Gesprochen wurde in unserer Re-gion nicht Jiddisch, aber Jüdisch-Deutsch, eine eigenartige Mischung hebräisch-aramäischer Wort- und Satzfetzen mit süddeutschen Idiomen. Andere Juden lebten in den Dörfern vom Viehhandel: Sie waren von der Bauernschaft durchaus ge-schätzt: Angesichts der großen wirtschaftlichen Not, die nunmehr seit Jahrhunderten in Württemberg unter ihnen herrschte, war es wichtig, dass sie verlässlich gute Tiere – vor allem Rinder, weniger Scha-fe oder Ziegen - von den Juden erstehen konnten. Diese hatten sich auf gesundes Vieh spezialisieren müssen, wollten sie den mizwot, den von der Tora auferlegten Pflichten nachkommen: Weder einst für den Opferkult im Tempel noch je zum Eigenbedarf – als Nutz- und Speisetiere - durften sie mit kran-ken Tieren handeln, diese hätten der Kaschrut eklatant widersprochen, hätten also nicht dem ent-sprochen, was unter „koscher“, unter „tauglich“ verstanden wird.

    Aus Stadtjuden werden Landjuden

    Noch eine Bemerkung zu den sog. „Landjuden“: Es ist eher üblich, dass wir jüdisches Leben, seit es nunmehr fast zweitausend Jahre lang in der Diaspora existiert, eigentlich ausschließlich in den Städten suchen, nicht aber auf dem Land. Das ist zwar für längere Zeiträume weitestgehend richtig, aber doch ungenau: Mit den Kreuzzügen wurde jüdisches Leben aus den europäischen, vor allem den deutschen Städten vertrieben. Diese einst durchweg römischen Städte lagen ja vor allem am Rhein, am Main, an der Mosel und der Donau. Wer diese ersten furchtbaren Pogrome im 11. und 12. Jahrhundert überlebt hatte, folgte der Einladung in das Fürstentum der Jagellonen und ließ sich in den Städten und Wojwodschaften des damals riesi-gen polnischen Reiches nieder; aus dem Mittelhochdeutsch, das sie aus der Heimat mitgenommen hatten, dem Hebräischen, das sie liturgisch zu Hause und in den Synagogen sprachen und dem Slawischen, das sie aus der neuen Umgebung annahmen, wurde das Jiddische. Wer hier im Deutschen Reich blieb, siedelte sich bald wieder in den Städten an, genauer: erneut in den Handelsstädten des aufstrebenden Bürgertums, zumal den Reichsstädten: Im Rahmen der Ausweitung seiner Handelsbeziehungen über die Landes- und Reichsgrenzen, nach Italien, vor allem aber in den Orient, bedurfte es der diplomatischen, der dolmetschenden und nicht zuletzt der finanzierenden Funk-tionen der Juden. Juden waren damals nirgendwo als Menschen willkommen, lediglich als fremdbe-stimmte Funktionsträger waren sie akzeptiert. Von 1348 an, nach der ersten gewaltigen Pestwelle, der europaweit die Hälfte der Bevölkerung zum Opfer gefallen war, die Juden in viel höherem Maße aufgrund ihrer streng eingehaltenen rituellen Wa-schungen jedoch zu überleben vermochten, wurden sie nicht zuletzt deshalb erneut vertrieben. Als dann noch – nicht ganz zweihundert Jahre später - in vielen Städten und Fürstentümern die Refor-mation eingeführt wurde, war es den konsequent Frommen ein zentral wichtiges Anliegen, ihre Herr-schaftsgebiete systematisch „judenfrei“ zu gestalten, um einen jüngeren, dennoch leider bereits pas-senden Begriff hierfür anzuwenden. Lediglich auf freiherrlichen Gütern und in kleinen Grafschaften durften sie – durch Brief und Siegel der Herrschaften geschützt - als sog. Schutzjuden leben und die erfahrene Gnade mit Extra-Steuern honorieren, weshalb sie ja überhaupt aufgenommen wurden.

    Napoleon ist an allem „schuld“

    Im Rahmen der ganz Europa treffenden Flurbereinigung, die Napoleon vornahm, beförderte er zu-gleich den württembergischen Herzog zunächst zum Kurfürsten und mit der Beendigung des deut-schen Kaisertums konsequenterweise auch noch zum König des nun ganz autonom gewordenen Lan-des. Die territorialen weltlichen und geistlichen Kleinstherrschaften, aber auch die Reichsstädte auf dem Territorium und um das Gebiet Alt-Württembergs fielen ans neue Königreich, so dass es an Um-fang und Einwohnerschaft ums Doppelte zunahm. Zu den „Erblasten“ gewissermaßen gehörten nun freilich die Land-Juden, was die traditionell orientierten Landstände und die Städte, zumal die Bürger-schaften der einstigen Reichsstädte mit ihren alten Siedlungs- und Beschäftigungsverboten für Juden erst einmal mental zu verkraften hatten. Noch 1832 lebten von den 10.000 Juden des württembergischen Königreichs 93 % auf dem Land, und zwar in etwa 60 ländlichen Gemeinden.

    Von Wankheim nach Esslingen

    Kehren wir nochmals kurz nach Wankheim zurück: 1827 – also bereits ein Jahr noch vor dem würt-tembergischen Emanzipationsgesetz - konnte dort eine israelitische Volksschule errichtet werden, sechs Jahre später eine Synagoge und ein eigener Friedhof. Dieser blieb erhalten und befindet sich außerhalb des Dorfes gen Tübingen. Dennoch zogen immer mehr jüdische Familien weg, nach Tü-bingen oder sie ließen sich in württembergischen Städten nieder, bald auch im ganzen Reich oder sie wanderten aus, vorzugsweise nach Amerika oder Palästina. So musste 1882 die jüdische Gemeinde in Wankheim aufgelöst werden, die Synagoge wurde abgebrochen, vier Jahre später lebte nur noch ein einziger Bürger jüdischen Glaubens am Ort. Zu den ersten, die Wankheim einst verlassen hatten, gehörten jene fünf Familien, die 1806 sich in Ess-lingen ansiedeln konnten.

    Der königliche Schutzbrief

    Gleich in den ersten Jahren seiner Herrschaft als König von Württemberg versteht Friedrich I. es, die soeben um ihre Reichsbürgerschaft geprellten Esslinger vollends erbost gegen sich aufzubringen, ohne dass sie es freilich gewagt hätten, offen gegen ihn und seinen Willen, seine königliche „Willkür“ zu protestieren. Sie nutzen andere Ventile, um ihrem Unwillen Luft zu verschaffen. Was war geschehen? In einem sog. „Schutzbrief“ hatte am 23. August 1806 der König das Oberamt Esslingen seine Ver-fügung wissen lassen, dass er dem „allerunterthänigsten Gesuch ... allergnädigst willfahrt“, „den Juden Isaac Lazarus, Leopold Levi, Isaac Levi, Leopold Abraham und Samuel Moses aus dem ... nun dem Oberamt Bebenhausen einverleibten Orth Wankheim ... mit ihren Familien in den Schuz zu Eßlingen aufzunehmen“. Mit diesem Erlass verstieß der König zunächst einmal – wissentlich und willentlich - nicht nur gegen einen Kernsatz der damals noch immer gültigen, von mir bereits erwähnten alten württembergischen Verfassung von 1498, die den Juden grundsätzlich jedweden Aufenthalt im Land dauerhaft untersagte. Der König – in Personalunion weltlicher Herrscher und höchster Vertreter wie Schutzherr der lutheri-schen Staatskirche des Landes – missachtete deren prinzipiell gehegte und gepflegte Feindschaft gegenüber den Juden. Die Landeskirche war Jahrhunderte lang nicht müde geworden, die weltliche Rechtspraxis des Ansiedlungsverbots mit immer neuen religiösen, christlich theologischen Begründungen zu untermauern. Zugleich rief Friedrich I. mit seinem Schutzbrief für die Wankheimer Juden bei sehr vielen traditionell denkenden und fühlenden Esslingern den Zorn insofern hervor, als ja ihre Vorfahren nur elf Jahre, nachdem ihre Reichsstadt 1531 evangelisch geworden war, alle Juden „auf ewig“ der Stadt verwiesen hatten; und die nachfolgenden Generationen hatten nunmehr 264 Jahre lang daran konsequent erbarmungslos festgehalten. Im Gegenzug zu diesem umgehend in Praxis umzusetzenden „königlichen Willen“ verlangte seine Majestät „ein von jeder [jüdischen] Familie zur Königlichen Steuerfinanzierung jährlich zu entrich-tendes Schuzgeld von 12 Gulden“. Zugleich wurde ihnen erlaubt, dass diese „daselbst eine quincaillerie-Fabrik etabliren, eine Schule zum Privatgottesdienst einrichten, und die hierzu erforderlichen Gebäude erkaufen ... dürfen“. Diese Genehmigung wurde mit „folgenden Modifikationen“ ergänzt: Jede Familie hat durch ein zwischen 5000 und 6000 Gulden sich belaufenden Vermögen sich ebenso auszuweisen wie „durch obrigkeitliche Zeugniß“, das „ihre gute Aufführung dociere“, dass sie sich „den bestehenden Polizei-Gesezen, besonders in Führung ihrer Geburts-, Heuraths- und Toden-Register“, nicht zuletzt „ihrer Handelsbücher in teutscher Sprache und in Beerdigung ihrer Toden unterwerfen“. Sodann wurde verfügt, dass aber auch nicht eine dieser fünf Familien „weiteres Personale von ihren Glaubensgenossen als zu ihrer Haushalthung wesentlich nöthig ist“ aufnähme, „den Handels- und Betteljuden unter keinerley Vorwand und bei schwerer Strafe ... Aufenthalt in ihren Häusern gestattet“. Im Folgenden wurden dann – mit Rücksicht auf die marode wirtschaftliche Situation der Stadt - noch weitere folgenreiche Auflagen gemacht, was deren Fabrikation und Handel betrifft: Von ihnen dürften nur Waren hergestellt werden, „welche nicht bereits in Eßlingen fabriziert werden“; sie dürften auch nur „mit solchen Waren, welche die Eßlingische Kaufleute nicht selbst führen, Handel treiben“.

    Die jüdischen Wankheimer in Esslingen

    Namentlich genannt werden im Schutzbrief:

    Isaac Lazarus [1751 / oo 1778 / 1830] – er war verheiratet [1778] mit Sara Ochs [1750 – 1832] aus Nordstetten bei Horb. Das Ehepaar kam mit vier Söhnen und einer Tochter.

    Isaac Lazarus war von 1806 an sechs Jahre lang Vorsteher der israelitischen Gemeinde in Esslingen. Er war als Vieh- und Pferdehändler gekommen, betrieb hier alsbald jedoch einen Bijouteriehandel, machte Geschäfte mit Schmuck, vor allem Modeschmuck.

    Leopold Abraham [1776 Dettensee – 1817 Rottweil], der von 1812 an den Familienname Esslinger trug, hatte 1802 Fanny [Friederike] Lazarus [1786 – ihr Todesdatum und ihre Grabstätte sind unbe-kannt] geheiratet. Sie kamen mit zwei kleinen Söhnen nach Esslingen, hier wurden ihnen noch fünf Töchter geboren, von denen vier bereits im Kindesalter sterben – alle an einem „Nervenfieber“ – 1810 war die Familie nach Rottweil umgezogen.

    Weiterhin ist im Schutzbrief Samuel Moses [1775 – 1827 Dettenhausen – beigesetzt in Esslingen] genannt, der sich in Esslingen nach dem ursprünglichen Herkunftsort seiner Familie nannte: Eder-heimer – Ederheim liegt südlich von Nördlingen. Verheiratet war er mit Ella Bacher [1789 - 1860] aus Hechingen. Ihre sechs Kinder - drei Töchter und drei Söhne - wurden alle hier in Esslingen geboren. Er war als Chasan und Schochet, also Kantor und Schächter der Esslinger Gemeinde beschäftigt, der – wie die Grabinschrift uns verrät – „an den ernsten und heiligen Feiertagen“ „den Ton des Schofars erschallen“ ließ.

    Die Gebrüder Levi

    Widmen wir uns näher dem Brüderpaar, das der königliche Schutzbrief aufführt: Da ist der ältere Leopold Levi: Der 1765 in Baiertal Geborene, das zu Wiesloch gehörte, vielleicht stammte er auch aus Horkheim bei Heilbronn, war als junger Mann nach Wankheim gekommen; verheiratet war er seit 1795 mit Magdalena Jacob[i] [1773 - 1841], die aus Hochberg (bei Remseck) stammte. Sie kamen mit drei Söhnen und drei Töchtern nach Esslingen, wo ihnen dann noch zwei weitere Söhne und eine Tochter geboren wurden. Das Ehepaar kaufte bereits 1807 in der Hospitalgasse „neben der Hospitalkelter“ – hier befindet sich heute die Einfahrt zur Garage am Marktplatz - ein dreistockiges Haus: In diesem betrieb auch Leopold Levi, zusammen mit seinem Bruder Isaac, einen „Bijouterie-Handel“ [" Gebrüder Levi"]. Bereits im Alter von 52 Jahren war er 1817 gestorben. Unter seinen Söhnen seien nur zwei wegen ihres Erfolges erwähnt: Moses [1796-1861], er war im hiesigen Bijouterie-Handel tätig und gehörte 22 Jahre lang dem Gemeindevorstand, bevor er 1853 nach Stuttgart zog. Der bei weitem Erfolgreichere war jedoch Jacob [1798-1887]. Er betrieb hier von 1822 oder 1823 an eine Goldwarenfabrik, die sich samt seiner Wohnung in der Fabrikstraße 3-5 befand. Diese Fabrik – eine Fabrik ist ja abzugrenzen von der Manufaktur, denn sie ist definiert durch „eine mit Antriebs- und Arbeitsmaschinen ausgestattete, arbeitsteilig organisierte Produktionsstätte“ [Wolfram Fischer, Der Staat und die Anfänge der Industrialisierung in Baden 1800-1850, Bd 1, Bln 1962. p 27 – cf Tiessen, p 46] - gehörte neben den Spinnerei-Firmen der Gebr. Hardtmann, Merkel & Wolf, Georg Christian Kessler [mit seiner späteren Sektkellerei] und Schöllkopf & Bockshammer sowie der Deffnerschen Metallwarenfabrik – zu den ersten Fabriken der Stadt. Produziert wurde in der „Bijouteriefabrik Jacob Levi“ „Herren- und Damenschmuck, bestehend in Ringen, Ketten, Medaillons, Armbänder, Broschen, Boutons etc. und als Spezialität Ohrringe und Kreuze in vielen verschiedenen Faconen und Größen als besonderer Artikel für Bayern“ [JH, JE 299] – das heißt, er exportierte also ins Ausland. Bedingt durch die Kriege 1866 und 1870/71 und der darauf folgenden „Großen Depression“ in den 70er Jahren gingen der Umsatz und der Export nicht nur der gesamten Branche, sondern auch dieser ein halbes Jahrhundert lang florierenden Fabrik so gewaltig zurück, dass 1881 Konkurs angemeldet werden musste. 1887 zog sich Jacob Levi mit seiner Frau Brünette als Privatier nach Stuttgart zurück, wo sie in der Hospitalstraße 35, also gegenüber der Synagoge lebten. Er starb jedoch noch im selben Jahr – 89jährig. Kehren wir eine Generation zurück: zu seinem Onkel, dem jüngeren Bruder seines Vaters Leopold: Es ist Isaac Levi , der zwei Jahre nach Leopold 1767 in Horkheim geboren wurde; zehn Jahre vor seiner Übersiedlung nach Esslingen hatte er Schönle [Charlotte] Kusiel [1778 Hochberg - 1859] geheiratet. Sie hatten 16 Kinder, von denen lediglich zwei am „frühen Kindstod“ starben. Kein Geringerer als der berühmte Gelehrte und Rabbiner von Stuttgart Dr. Joseph von Maier – übrigens der erste vom württembergischen König geadelte Jude, sein prächtiger Grabstein ist heute noch das Schmuckstück des Stuttgarter Hoppenlaufriedhofs – war anlässlich der Feier der Goldenen Hoc-hzeit des Ehepaars Levi 1846 nach Esslingen angereist. In seiner Festrede nannte er Isaac Levi den „Gründer der israelitischen Gemeinde in Esslingen“. 23 Jahre lang – zwischen 1812 bis 1835 - war er als Nachfolger des soeben genannten Isaac Lazarus Vorsteher der Gemeinde; Isaak Levi war es auch, der für sie 1819 den Kaufvertrag des Rayherschen Hauses unterschrieben hatte, des einstigen Schnei-der-Zunfthauses im Heppächer, also dieses Hauses, das dann zur Synagoge umgebaut wurde. In seiner Rede führte Joseph von Maier aus, dass diesem Mann die jüdische Gemeinde von Esslingen „einen großen Teil der Achtung“ verdanke, „die sie bei ihren Mitbürgern sowie im ganzen Vaterland genießt, und die sie in vollem Maße verdient. Lange bevor das Gesetz vorschrieb, das heranwachsende Geschlecht ordentlichen sesshaften Gewerben zuzuwenden, widmete er seine sämtlichen Kinder bür-gerlichen Beschäftigungen. Auch in dieser Hinsicht ermunterte sein Beispiel andere zur Nachahmung und so steht die hiesige Gemeinde in ihrem bürgerlichen Leben und Streben als Muster für viele da, von wenigen erreicht, von keiner einzigen übertroffen.“ [JH, 296] Im Jahr darauf, 1847, starb Isaak Levi im Alter von 80 Jahren – und die Inschrift auf seiner Sandstein-Grabstele ehrte ihn in besonderem Maße – leider ist der auf dem Alten Judenfriedhof sehr stark verwittert, seine Inschrift allerdings war festgehalten worden:

    Hier ruht ein teurer Mann, sein Name wird gelobt in den Toren; Es ehren ihn die Angehörigen seines Volkes, es achten ihn die Vornehmen; Er hütete seine Gemeinde in Weisheit und Gerechtigkeit und in Aufrichtigkeit. Die Erinnerung an seine Güte wird nicht aufhören über viele Generationen. Er war Fürst der Gemeinde, Versorger und Vorsteher der Gemeinde, der ehrwürdige Herr Isaac, Sohn des Mose Levi; geboren an einem Montag, am Vortag des Beginns des Monats Nisan im Jahre (5)527 [30. III. 1767], gestorben an einem Dienstag, dem 2. Cheschwan (5)608 und begraben in großer Ehre an einem Mittwoch, dem 3. Cheschwan [12. bzw. 13. Oktober 1847]. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens.

    Was verbirgt sich unter der Suade der von Mayerschen Laudatio, als er hervorhob, dass Isaac Levi „seine sämtlichen Kinder bürgerlichen Beschäftigungen“ „widmete“, „lange bevor das Gesetz vor-schrieb, das heranwachsende Geschlecht ordentlichen sesshaften Gewerben zuzuwenden“? Mit den Folgen, dass „sein Beispiel“ einerseits „auch in dieser Hinsicht [...] andere zur Nachahmung“ „ermunterte“, und dass andererseits „die hiesige Gemeinde in ihrem bürgerlichen Leben und Streben als Muster für viele“ dastehe, „von wenigen erreicht, von keiner einzigen übertroffen.“ [JH, 296]

    Der Hausierhandel

    Die jüdischen Familien konnten anfangs nur kleine, bescheidene Häuser hier in Esslingen anmieten oder erwerben, in denen sie auch ihre Werkstätten einrichteten. Diese waren zu eng, um zugleich als Verkaufsräume zu dienen; so dass es Kaufinteressenten unmöglich war, die dort hergestellten Pro-dukte ansehen oder prüfen zu können. Aus dieser Not machten die Juden auch in Esslingen rasch eine Tugend, die bald sehr erfolgreich sich auswirken sollte: Einerseits nahmen sie jene alte Tradition des Hausierens auf, andererseits – und dies war das Neue – handelten sie jetzt kaum mehr mit Trödel, sondern von jetzt an vermehrt mit eigenen, von ihnen hergestellten Produkten. Wieder zogen sie – die Handwerker selbst, Mitglieder der Familie, vorzugsweise die eigenen Söhne - von Ortschaft zu Ort-schaft und dort von Haus zu Haus, um den Bewohnern diese Waren zu präsentieren. Diese Verkaufsform ersparte vielen Dörflern, die ja oftmals ebenfalls arm waren und sehr bescheiden lebten, die weiten, beschwerlichen und zeitaufwändigen Wege beispielsweise vom Schurwald oder von den Fildern nach Esslingen. Gleichzeitig erfuhren die fahrenden Händler, ob über kurz oder lang in diesen Ortschaften Bedarf an weiteren oder anderen Waren vorhanden war, beispielweise wegen einer bevorstehenden Hochzeit oder Kindstaufe oder einem sonst anstehenden Familienfest, den zu decken sie sich dann fleißig bemühten, indem sie die Waren ihnen ins Haus lieferten. Damit unterliefen sie natürlich – sehr zum Ärger der alteingesessenen Handwerker und Ladenbesitzer Esslingen – deren Gewohnheit, allzu sesshaft, allzu unbeweglich in ihrem Geschäften geworden, auf Kundschaft zu warten und sie, wenn sie dann eintreffen sollte, zu bedienen. Wir werden noch Näheres dazu hören. 40 Jahre vor seinem Tod, gerade nach einem Jahr in Esslingen konnte Isaac Levi und seine Familie 1807 ein eigenes Haus beziehen, es befand sich in der Unteren Beutau 10. Er und seine Familie erhiel-ten 1830 das Esslinger Bürgerrecht.

    Die Produkte der Firma „Gebrüder Levi“

    Mit dem Bruder bzw. – nach dessen Tod 1817 – seiner Schwägerin führte er den Bijouterie-Betrieb "Gebrüder Levi": Das heißt, sie stellten Modeschmuck her. Die Herstellung solcher Produkte war ganz und gar kein Zufall. 1) Materialien waren vor Ort vorhanden – z.B. Metall- und Eisenabfälle, aber auch Lederreste, die zu Bändern verarbeitet und dekoriert werden konnten. 2) Diese Produkte wurden – soweit mir bekannt – bis dahin in Esslingen in größerem Umfang nicht hergestellt. Soweit wir aus verschiedenen Dokumenten erfahren, reagierten viele aus der Esslinger Bürgerschaft auf den Zuzug dieser jüdischen Familien geradezu feindselig, obwohl diese sich mustergültig am „königlichen Willen“ ausrichteten, sich grundsätzlich streng an die ihnen vom König und der Stadt auf-erlegten Einengungen hielten, was Produktion und Handel von Waren betraf. Zunächst wehrte die Bürgerschaft sich – bis 1828 erfolgreich – gegen den Zuzug weiterer jüdischer Familien. Dann erhob sie Einspruch gegen die ihr so ärgerliche Handelstaktik, ja Handelsstrategie der Juden. In einem Einspruch vom Mai 1815 wurden folgende Argumente angeführt: Neun Jahre nach dem Ansiedeln der Juden in der Stadt wird kritisiert, „dass in hiesiger Stadt, welche etwas über 5.000 Seelen hat, sich 29 Kaufleute befinden, welche offene Handlung betreiben, dass also der hiesige Handlungsstand nicht nur besetzt, sondern sogar bedeutend überbesetzt ist; zu diesen Handelnden kommen nun XX [vermutlich steht da „10“, die Zahl wurde aber derartig durchgestrichen, dass sie nicht mehr lesbar ist] Handelsjuden, welche ihre Waren von Haus zu Haus tragen [...]; durch die Juden geht dem hiesigen Handelsstand ein nicht zu berechnender Schaden zu [...] hauptsächlich dadurch, dass der christliche Kaufmann sich nicht zu den bekannten Kunstgriffen herablässt, und dass der Jude nicht mit so hohen Steuern und Abgaben belastet ist, zudem er als Beisitzer betrachtet wird und zufolge des hiesigen Steuerstatus keine Vermögenssteuer, sondern nur die Steuer aus dem Gewer-be und 5 Gulden bezahlt.“ [JH, JE 29]. Dieses Argument spielt darauf an, dass den Juden zu jener Zeit noch nicht der Status des Bürgerrechts erteilt worden und als Beisassen einer niedrigeren Abgabenklasse zugeordnet waren. Auf jene „bekannten Kunstgriffe“ komme ich jetzt zu sprechen durch ein weiteres Zitat: In einem Schreiben aus dem Jahre 1819 an den Magistrat beschwerte sich ein Esslinger Händler über 15 jüdische Familien:, denn sie „hausieren mit ihren Kindern nicht nur in der Stadt, sondern in allen nahe gelegenen Orten, täglich von Haus zu Haus, und indem sie jede Tür aufstoßen, dringen sie die Waren den Honoratioren, Bürgern und Landleuten teils als Kauf, teils als Tausch auf. Stirbt jemand, so bestürmen sie, wann der Tote kaum die Augen geschlossen, das Haus desselben, um Trauer-Waren zu verkaufen; ist eine Braut, [ein] Bräutigam oder Konfirmand in einem Hause, so finden sie sich gleich zahlreich da ein, ebenso belagern sie die Wirtshäuser, um jedem ankommendem Fremden ihre Waren aufzudringen, und so betreiben sie an den Sonn- und Werktagen ihr Wesen auch auf den nahe gelegenen Filialen und Ortschaften, wo sie in den Wirtshäusern ihre Niederlage“ – im Sinne einer kleinen Niederlassung, ein „Lägerle“ – „haben, den Weingärtnern und Bauern in seinem Haus und der Schänke aufzusuchen.“ Sie ließen, heißt es weiter, diesen so lange keine Ruhe, bis diese dann die Waren von ihnen kauften oder tauschten. Sollte die Stadt – so schließt das Schreiben - nicht sofort und entschieden gegen dieses „Wesen“, also Unwesen angehen, so werde – so warnt der Beschwerdeführer eindringlich – „die uns so teure, sonst so wohlhabende Vater-Stadt ein armer Juden-Ort werden.“ [JH, JE 31f] Der Magistrat gab des öfteren schon derartige Beschwerden an das Oberamt weiter – dieses hatte sie aber nicht angenommen. Nunmehr gab es erstmals nach und erließ im August 1820 ein Hausier-Ver-bot. Dies schien nicht die gewünschte Wirkung zu zeitigen, denn im Oktober desselben Jahres führten Esslinger Kaufleute erneut Beschwerde, „da die Juden sich durch das Herumtragen von Mustern und anderer Mittel, die sich der christliche Kaufmann nicht erlauben kann und will, sich zu helfen wissen. [...] „Früher“, so heißt es weiter, „erkauften die Landleute, wenn sie die Erzeugnisse des Bodens nach den Städten brachten, darin wieder ihre Bedürfnisse; jetzt sucht der hausierende Jude diese Bedürf-nisse auszuforschen, bringt den Landleuten seine Waren ins Haus und lässt nicht nach, bis sie ihm ab-gekauft werden.“ Diesen Zustand halten die christlichen Kaufleute schon auch deshalb für uner-träglich, weil er ihre eigene Existenz gefährde, nicht zuletzt aber auch deshalb, wie das Schreiben am Schluss aussagt: „Wir sind die rechten Kinder Eurer Königlichen Majestät.“ Allmählich jedoch – vor allem nach den Judenemanzipationsgesetzen Wilhelms I., denen zu Folge die Juden ordentliche Bürger der Stadt werden konnten - beruhigte sich die Lage: Die Einwohnerzahl der Stadt wuchs stetig, die der jüdischen Familien hingegen nahm nur noch unwesentlich zu. Der Bedarf des Bürgertums stieg rasch, der Umsatz florierte; die Juden betrieben mehr und mehr erfolgreiche Be-triebe und Geschäfte, der Hausierhandel ließ merklich nach. Wobei angemerkt sei, dass nicht alle Mit-glieder der jüdischen Gemeinde wirtschaftlich erfolgreich waren, vielmehr von deren Armenfürsorge leben mussten. 1829 gibt es genaue Angaben über die Berufe der jüdischen Familienoberhäupter: Von den 18 aufgeführten arbeitet genau ein Drittel in der Produktion bzw. im Handel mit Bijouterie-Waren [einer von diesen ist Juwelier und Goldarbeiter], ausschließlich mit Tuchen handeln vier, während der fünfte zu-gleich Gastwirt ist, im Schacherhandel sind zwei, einer wird als Großhändler bezeichnet, es gibt einen Graveur, einen Schächter, der zugleich Vorsänger ist [Nathan Ederheimer] sowie einen besoldeten Schullehrer [Leopold Liebmann] – bei Löw Simons Witwe wird kein Beruf angegeben. [JU, JE 34]